Transgresiones / Überschreitungen

Der Vorhang hebt sich, die Grenzen fallen: eine Stadt zwischen dritter und erster Welt. Ein Stück für zwei Fotografen, drei bildende Künstler und vier Schriftsteller, interpretiert von zwei Europäern. Ein Gärtner baut einen japanischen Zen-Garten aus Hitachi-Fernsehern. Eine junge Frau fotografiert den Weltraum in einer Lagerhalle. Eine Schriftstellergruppe verkauft Gedichte in einem Imbissstand und ein Literaturprofessor spricht mit den Raben. Der Grenzraum ist geöffnet, der Vorhang fällt.

Credits

Vorführungen

Regiestatement

Transgresiones = Überschreitungen. Eigentlich müsste der Titel aus mindestens zwei Begriffen bestehen, denn der Film vollzieht zwei völlig verschiedenartige Bewegungen des Überschreitens. Die erste dieser Bewegungen ergibt sich aus dem Schauplatz des Films: Tijuana / San Diego. Eine Grenzregion zwischen Mexiko und den USA, zwischen Süden und Norden, zwischen der sogenannten Dritten Welt und der Ersten, zwischen arm und reich. Die dazugehörige Bewegung ist die der physischen Grenzüberschreitung. Einerseits Migrantenströme, legal und illegal: ein Mann sitzt vor dem Metallzaun, der die beiden Welten trennt und erhält letzte Instruktionen wie er sich gegenüber der Border Patrol verhalten soll (“Renn nicht weg, sonst erschießen sie dich!”). Andererseits Warenströme: Aufgrund des niedrigen Lohnniveaus und des Freihandelsabkommens NAFTA ist Tijuana aus der Vogelperspektive eine gigantische Ansammlung von Fabrikhallen soweit das Auge reicht. Und dazwischen ein endloser Strom von LKWs, die sich alle auf einen Punkt zu bewegen, auf die Stelle wo der oben genannte Metallzaun für einige Meter unterbrochen ist.

Das Einnehmen der Vogelperspektive ist ein Beispiel für die zweite Bewegung des Überschreitens in unserem Film. Es handelt sich um die Bewegung der Kunst, der Phantasie, des Gedankens. Wir haben uns mit Künstlern, Schriftstellern und Musikern, die in Tijuana leben und arbeiten unterhalten. Diese Gespräche bilden das zweite Thema des Filmes, und sie haben mit der geopolitischen Situation zunächst einmal nichts zu tun. Die harten Grenzen der Realität (wie sie der Grenzzaun für den Migranten darstellt) werden in der Kunst leichtfüßig überschritten. Eine Schriftstellerin fliegt in einem ihrer Gedichte über den Grenzzaun hinweg, lässt die Fabriken von Tijuana hinter sich und nimmt Kurs auf die glänzenden Hochhäuser von San Diego. Ein anderer verwandelt sich in einen mythologischen Raben, Beschützer der Federkinder. Mit derselben spielerischen Leichtigkeit werden die Grenzen zwischen den Kulturen überschritten, die Musik ist ein rauer Bastard zwischen mexikanischer Folklore und US-amerikanischem Hip-Hop.

Die hier beschriebene harte Trennung zwischen der Realität des Grenzzaunes und der Grenzenlosigkeit in der Kunst, diese Trennung haben wir im Film nicht vorgenommen. Es wäre auch nicht möglich gewesen: Wenn eine Schriftstellerin von dem “Schmerz als Form des Kontaktes” spricht, dann drängt sich uns unwillkürlich das Bild der “Grenze als offene Wunde” (Gloria Anzaldúa) auf. Am Grenzzaun sind über mehrere Kilometer hinweg Kreuze angebracht, zur Erinnerung an die Tausenden, die den undokumentierten Grenzübertritt nicht überlebt haben. (Florian Geierstanger und Diana Grothues, Juni 2007)